Lerning by Doing

Ende gut – alles gut

Ende gut – alles gut. Dieser kleine Spruch kam mir letztens wieder in Erinnerung. Und nun nervt er in mir wie ein kleiner Ohrwurm, denn:

Das Jahr geht zu Ende und ich mache mir Gedanken über ein paar Angelegenheiten, die ich eigentlich auch zu einem möglichst guten Ende bringen müsste.  Denke ich zumindest.

Muss ich? Soll ich? Oder will ich?

Ich finde das Thema „Ende“ wirklich unbequem. Mir fällt dabei auf, dass ich eine wahre Meisterin der Neuanfänge bin, aber wie ich Dinge gut zu Ende bringe, das weiß ich schlicht nicht.

Meine Strategie war bisher oft, solange zu warten, bis ich krank geworden bin, zusammengebrochen oder gar komplett lebensmüde. Dann bin ich mit einer imensen Kraft aus einer Geschichte, einer Beziehung oder einem Arbeitsverhältnis wie aus dem Gefängnis ausgebrochen und habe dabei schon so einige Male verbrannte Erde hinterlassen.

Also ist es wohl an der Zeit, mich dem Thema anzunehmen. Ich will herausfinden, ob es stimmt, dass dann alles gut ist, wenn das Ende es ist.  Und sollte das so sein, dann ist es für mich umso wichtiger, zu lernen, wie ich mit Größe und Grazie das Wort ENDE an das Ende einer Geschichte setzen kann. Ich möchte lernen Gute Enden zu erschaffen.

Manchmal ist das Ende ein Punkt.

Wir beenden tausend kleine und größere Sachen am Tag und sind uns meistens dessen gar nicht bewusst. Wir beenden Sätze, ganze Gespräche, Telefonate, Treffen, Tätigkeiten, Atemzüge, Tage, Nächte. Es sind Enden, die immer auch Neuanfänge versprechen. Sie sind Teile eines lebendigen Fließens, eines Anfangens, Vorwärtsgehen und Aufhören. Punkt. Pause. –

Und dann gehts weiter. – Das ist so normal für uns, dass wir uns weder darüber aufregen, noch uns darüber Sorgen machen. Alles geht seinen Gang. Der Tag füllt sich immer wieder mit Selbstverständlichkeit. Da entsteht keine Leere und damit auch keine Unsicherheit. Eins reiht sich ans andere ohne eine Lücke zu lassen.

Aber da gibt es Angelegenheiten, Geschehnisse, Lebenssituationen, die sind nicht so klein, und die schieben sich in das alltägliche Fließen wie riesige Steine. An denen kommen wir nicht so ohne weiteres mit einem Atemzug vorbei. Wir ahnen, dieser Punkt ist der letzte in dieser Geschichte. Danach kommt kein neuer Buchstabe, kein neues Wort, kein „weiter geht’s“. Das ist erschreckend, denn der Raum, der sich auftut, ist erst einmal leer. Oft fühlt er sich wie ein Abgrund an. Da sind weit und breit keine Trittsteine zu sehen, kein vertrauter Treppenlauf, kein geheimer Pfad. Manche nennen den Zustand „ein kleines Sterben“. Das kann ein kleiner oder auch tiefer Schock sein. Wir vergessen das immer wieder.

Was mich dann richtig wütend macht, ist, wenn jemand versucht zu trösten und mir sagt: “ Du, sieh mal, so schlimm wie es auch zu sein scheint – aber das Leben geht weiter. So ist es nun mal. Also sei nicht so traurig! Es kommt ein neuer Morgen!“

Ja doch, natürlich kommt ein neuer Morgen!!! Was hat das denn damit zu tun, dass jetzt hier an dieser Stelle meiner Geschichte ein fetter Punkt wie ein riesiger Stein auftaucht, an dem ich vielleicht gleich zerschellen werde? Wenn ich ehrlich zu mir bin, dann habe ich eine riesige Angst davor, dass dieser Punkt, der Punkt für alles ist, dass gar nie mehr irgendetwas danach kommt, außer irgendwelche neue Morgen, die gelebt werden müssen, ohne das erfrischende Gefühl vom Neuanfang.

Auch für das Ende braucht es Mut

Ein solcher Punkt ist ein unwiderbringlicher Zeitpunkt, um sich einem nicht zu verschiebenden Abschied zu stellen. Etwas wird mich verlassen. Etwas werde ich verlieren und wie Jorge Bucay so schön sagte: “ Jeder Verlust ist schmerzhaft, selbst der kleinste…“ Vielleicht bedeutet meine Schwierigkeit mit dem Ende auch eine Schwierigkeit mit dem Fühlen dieses Verlustschmerzes? Wie schnell schlagen wir das Buch zu, trösten uns selbst, dass alles irgendwann mal zu Ende gehen muss und kehren dann zurück zu unserer Alltagsroutine. Und ein klitzekleiner, und manchmal vielleicht auch unerwünscht großer Teil, von uns bleibt an diesem letzten Punkt kleben und verliert sich in der Hoffnung, dass es irgendwann einen zweiten Teil geben möge.

Ich finde es auch irrtierend, festzustellen zu müssen, dass selbst das Auftauchen des Ende von etwas wirklich Unangenehmen erst einmal angsteinflößend für mich ist. Wie oft habe ich mich aus einer erdrückenden Jobsituation oder Beziehung herausgewünscht und es hat mich Monate, ja manchmal Jahre gekostet, dem Ende nicht weiter im Weg zu stehen.

Was ist gut an der Hoffnung?

Letztens sah ich einen Film, in dem ein Mann entscheiden musste, die Beatmungsmaschine abstellen zu lassen, mit der seine geliebte und durch einen Unfall ins Koma gefallene Frau irgendwie physisch am Leben gehalten wurde. Ich konnte so gut nachfühlen, welches innere Drama dieser Mann durchlebte. Die Hoffnung ist wie ein Kleber, der uns an eine vorgestellte zukünftige Realität bindet. Morgen schon könnte doch alles wieder „gut“ sein. Morgen, oder vielleicht auch in ein paar Tagen oder Wochen, könnten wir es hinbekommen und allem neues Leben einhauchen. Ich hänge gerade in einer solchen Situation. Eigentlich war die Situation schon gestorben, tot, am Ende, und dann auf einmal bäumte sich erneut ein bisschen Leben auf und es schien lohnenswert, meine Anstrengungen zu verdoppeln, den toten Gaul zu beatmen und wieder auf die Beine zu bringen. Aber die einzige, die zu neuem Leben erwachte, war die trügerische Hoffnung. Weiter nichts.

In einem Retreat hatte ich einmal die Aufgabe, für einen Tag mit der Frage „Was ist gut an der Hoffnung?“ in Inquiry zu sitzen. Ich startete mit der Überzeugung, dass das ein ganze leichter Tag werden würde, denn jeder weiß ja, dass Hoffnung etwas Gutes ist. Am Ende dieses Tages musste ich ernüchtert feststellen, dass ich nichts „Gutes“ finden konnte. Einzig, dass es mir schwer fiel, im Augenblick präsent zu sein. Das konnte ich als Resultat vorweisen. Hoffnung ist wie ein Fernrohr, mit dem wir irgendwohin sehen können. Hoffnung macht den Blick eng. Sie kreiert ein ausgedachtes Ziel, irgendwo, irgendwann und verliert das Hier und Jetzt aus dem Auge. Hoffnung enthält Drama. Etwas im Hier und Jetzt ist nicht in Ordnung, ist schrecklich und nicht auszuhalten. Wir fliehen in unseren Gedanken der Realität und in eine optimierte Zukunft. Hoffnung impliziert, dass das Jetzt unvollkommen ist. Dadurch verlieren wir den Kontakt zu unseren aktuellen Resourcen, die uns helfen könnten, uns der gegenwärtigen Situation zu stellen und den wahren Weg, der vor uns liegt, deutlicher zu sehen. Hoffnung hilft uns, aus dem Schmerz zu fliehen.

Sir – Das Geheimnis

Aber der Schmerz ist der eigentliche transformatorische Antrieb. Wenn wir den Mut aufbringen, uns durch ihn durchzufühlen, dann beginnt eine sehr vitale Energie in uns aufzusteigen. Sie ist kraftvoll und sanft zugleich. Sie hilft uns, uns vom Boden aufzurappeln und den Staub aus den Kleidern zu klopfen. Sie lässt uns den Blick heben und den weiten offenen Raum nicht mehr als schrecklichen Abgrund wahrnehmen, sondern als weite Landschaft voller Möglichkeiten. Sie hilft uns beim ersten Schritt dahinein, egal, ob vor uns eine Wüste oder ein eisiger Winterwald liegt. Die Sufis nennen sie “ SIR – Das Geheimnis“  oder auch “ die Rote Latifa“. Sie schenkt uns die Fähigkeit, mit unserer Verletzlichkeit in Kontakt zu sein, während wir immer wieder versuchen und scheitern. Sie gibt uns die Kraft, die Reise zu beginnen und auch fortzusetzen. Sie taucht auf, wenn wir uns von Altem trennen müssen. Sie gibt uns die Feder in die Hand, den letzten Punkt zu setzen, oder ein Schwert, dass wir mit aller Klarheit zu schwingen haben. Sie sagt: “ Bring es zu Ende, my love! Es ist Zeit. Und wenn Du zusammenbrichst, dann richte ich Dich wieder auf.“

Am Ende braucht es Geduld

So ein Ende ist ein Prozess. Daher braucht es für ein Gutes Ende auch Geduld. Auf dem berühmten „point of no return“ findet jede Geschichte, Angelegenheit oder Lebenssituation ihren Höhepunkt. Dann setzt der Prozess des Zuendegehens eins. Genauso wie wir oft versuchen, den „Eintritt“ in etwas Neues zu verweigern, genauso verweigern wir dann auch den „Austritt“ aus dem nun mittlerweile Vertrautem. In dem Film „Die Bestimmung“ muss die Hauptheldin Tris dazu aus einem fahrenden Zug springen. Sie muss dazu den richtigen Moment abwarten. Das Zeitfenster besteht nur aus ein paar Sekunden. Etwas zu früh oder etwas zu spät würde ihren Tod bedeuten.

Wie oft habe ich mit den zermürbenden Gedanken nachts wach im Bett gelegen, ob mein Zeitfenster zum Springen noch gar nicht gekommen ist, oder ob ich den Moment für ein Gutes Ende schon verpasst habe.

Und ich glaube, ich habe schon so manches Mal den besten Moment für den Absprung verpasst, weil „Warten“ kein Problem für mich ist. Aber das ist ein anderes Thema.

Die Geduld, die es für ein Gutes Ende braucht, hat mit Warten nur bedingt  zu tun. Sie hilft uns eher dabei, unseren inneren Raum der radikalen Akzeptanz zu erweitern. Sie ermutigt uns, mit offenen Augen dem Untergang, dem Zuendegehen zu begegnen und dabei mit uns selbst in Kontakt zu bleiben. Sie ist wie ein innerer Rückhalt, der uns präsent bleiben lässt, wenn Angst, Wut und Traurigkeit uns durchschütteln und auseinanderfallen lassen.

Geh ans Grab einer gestorbenen Wahrheit und weine

Wir vergessen, den Akt des Vergehens und Sterbens von Situationen und Erlebnissen so zu betrauern wie den Verlust eines geliebten Menschen. Manchmal sind es Wünsche, die wir zu beerdigen haben, ein Projekt, eine Idee, eine Hoffnung, aus der wir erwachen, ein geliebtes Kleidungsstück, das ewig zuverlässige und jetzt schrottreife Auto, eine Freundschaft, eine Liebe, die verblüht ist, oder eine lange Nacht.

Manchmal reicht sogar ein tiefer Atemzug. Oft reicht es aber nicht und dann brauchen wir für den Sterbeprozess auch eine Art Begräbnis, einen rituellen Akt des Punktesetzens. Dann ist der Punkt vielleicht ein geflochtener Kranz aus Blumen, dem wir einem Fluß übergeben. Oder er ist das Licht einer Kerze, die wir auf einem See dahinschwimmen lassen mit all unseren Wünschen für ein gutes Ende für alle und alles. Oder er könnte auch der Rauch eines Abschiedsbriefes, den wir mit all unseren Tränen aus unserem Herzen herausgeschrieben haben und der nun in Flammen aufgeht und mit all seinem Schmerz in die Welt hinauszieht. Es könnte auch ein klares „NEIN !!!“ sein, dass wir ohne Wenn und Aber von einer hohen Klippe auf’s Meer hinausrufen.

Der Familientherapeut Bert Helliner sagte einmal:

Friede heißt: Es darf gewesen sein!

Freiheit heißt: Es war!

                                         *                     *                  *                *          

Let’s celebrate

Mir kommt die Idee, eine kleine Feier für den letzten Punkt zu veranstalten, ihn zu zelebrieren und wie einen erfolgreichen Schulabgänger mit einem Blumenstrauß zu verabschieden. Ich meine, es ist ja auch irgendwie ein Bürde für diesen letzten Punkt, die Veranwortung für die ganze vorangegangene Geschichte zu tragen. Vielleicht hake ich mich bei diesem letzten Punkt mal für eine Weile unter, schaue mit ihm auf das Vergangene zurück und sage: “ Schön war’s. Oft. Nicht immer. Manchmal war es auch schrecklich. Und doch war alles willkommen. Und jetzt ist es gut und traurig und schön und beängstigend, dass wir hier stehen, am Ende. Mach’s gut, lieber letzter Punkt. Ich sehe, Du hast auch eine wichtige Aufgabe. Du bist der Hüter, der die Tür geschlossen hält. So ist die Geschichte hier gut aufgehoben Danke.“

Vielleicht ist das ein richtig gutes Ende. Wir könnten uns auch Freunde dazu einladen. Wir könnten im Kreis unserer Vertrauten unsere Trauer um den kleinen, mittleren oder auch großen Verlust eingestehen, uns von ihnen in den Arm nehmen lassen, ins liebevoll hingereichte Taschentuch weinen ( und schneuzen ) und danach eine Flasche Champagner aufmachen, Wunderkerzen abbrennen und Luftballons steigen lassen.

Und dann drehen wir uns um und schauen nach vorne und dem ins Auge, was da vor uns liegt: Ein weiter Raum voller Freiheit und voller Möglichkeiten.

  • Nur wenn der Mensch des Äußeren beraubt wird wie der Winter, besteht Hoffnung, daß sich ein neuer Frühling in ihm entwickelt. RUMI
  • Mögest Du den Lebensmut fühlen, einen Goldenen Punkt an das Ende zu setzen. Möge das Ende gut sein und damit die ganze Geschichte. In Liebe Eure ULRIKE

Geboren 1968, mittlerweile im Norden Deutschlands lebend, lernend, lehrend, schreibend, bin ich Lebenskünstlerin, Menschenliebhaberin und leidenschaftliche Gärtnerin...gesegnet mit Kindern, Katzen, Pferd und besonderen Menschen an meiner Seite...