Lerning by Doing

Mutterschafts-Abitur

Ich möchte ein Mutterschafts-Abiturszeugnis! Bitte!!!

Denn: Heute hat mein Sohn seine letzte Abitursprüfung abgelegt und auch mit Augenzudrücken aller Prüfenden geradeso bestanden. Das bedeutet, 13 Jahre Schulzeit hat er erfolgreich und ein für allemal zu Ende gebracht. Hallelujah!!!

Und eben nicht nur er. Auch für mich bedeutet das einen Abschluß. Nehme ich die Schulzeit meiner beider Söhne zusammen, dann war ich 22 Jahre beschäftigt Zuckertüten zu basteln, Ranzen zu packen, bei den Hausaufgaben zu helfen, das vergessene Sportzeug hinterherzubringen, Geburtstagsparties zu organisieren, das Kind zum Musikunterricht zu fahren, vom Sporttraining abzuholen, bei den Wochenendwettkämpfen den Daumen zu drücken, zum Elternabend zu gehen, Sonntagabend bis in die Nacht das dahingeschluderte Projekt aufzuhübschen, Streitigkeiten mit Freunden und deren Eltern zu schlichten, Löschblätter einzulegen, Brotbüchsen abwechslungsreich zu füllen, fiebrige Kinderstirnen vor Klassenarbeiten zu kühlen, Russisch-Vokabeln abzuhören, Brainstormings über Jahresprojekte machen, verstaubte Socken unterm Bett hervorzukramen, halbleere Pizzakartons gleich mit, dreckiges Geschirr aus der verbotenen Zone herauszusammeln, und natürlich mit Waschen, Waschen, Waschen…Haustiere, wie Meerschweinchen, Katzen und Hunde zu füttern, auszuführen und zu begraben, beim Fahrradfahrenlernen zur Seite zu stehen, Klaviernoten zu besorgen, auch ganze Klaviere, Gitarren, Flöten, Wachsmalblöckchen, mit Vorlesen, Zuhören, Trösten, Verzweifeln und so vielem mehr. Das ist eine Langzeitverantwortung für einen anderen Menschen, der mir die meiste Zeit vertraut hat, dass ich das Richtige für ihn entscheide und tue.

Heute ist mir ein riesiger Stein vom Herzen gefallen, als mein Sohn mich anrief, um mir zu sagen, dass er es geschafft hat. Ich bin nach dem Telefonat in Tränen ausgebrochen, nicht nur aus Freude. Auch aus Erschöpfung. Die letzten Tage haben wir abends noch für die Russisch-Prüfung gelernt. Ich konnte die Angst vorm Versagen in meinem Sohn deutlich spüren. Im Grunde beherrschte er nicht mal die Grundlagen der Sprache, geschweige denn das Abitursniveau. Ich konnte auch sehen, mit wie wenig Lust er die letzten Jahre in die Schule gegangen ist. Wie er sich auch gequält hat, die 13 Jahre zu Ende zu bringen. Wie schwer es ihm fiel, sich selbst zu disziplinieren. Auch hier habe ich meine Verantwortung als Mutter gespürt wie einen Sog, dem ich nicht ausweichen konnte, obwohl mein Sohn schon über 19 ist.

Wieviel Unterstützung braucht ein Kind?

Und all diese Fragen, die mich diese ganzen Jahre begleitet haben, die manchmal wie bleierne Gewichte an meinen Nerven gezogen haben. Vor allem: Wann wird aus der Herausforderung eine Überforderung? Wieviel Unterstützung ist wirklich nötig und hilfreich? Da gibt es kaum Orientierung. Jedes Kind ist anders und auch jedes Alter bringt andere Anforderungen mit sich. Für mich als Mutter ist es schwer, die notwendige Distanz einzuhalten, die es braucht, damit mein Kind an seinen Herausforderungen wachsen kann. Ich bin emotional zu nah dran. Optimalerweise bringt der Vater die entsprechende Klarheit mit. Die ausbalancierte Mischung aus mütterlicher Fürsorge und väterlicher Ermutigung helfen beim Losfliegen und Selbstständigwerden. Ich musste oft beides leisten. Das war ein unglaublicher Spaghat. Meine Freundinnen verstehen das. Bei einigen von ihnen war es ähnlich. Entweder waren die Väter nicht präsent, weil viel in der Arbeit verschwunden, oder sie waren unkooperativ, weil im clinch mit uns Müttern.

Als ich eine Erleichterungsnachricht zu all denen geschickt habe, die mit uns mitfieberten, kamen von den Frauen herzliche und zugewandte Grüße an uns beide und von den Männern zusätzlich ein kleiner Dämpfer über die Bedeutung meines Anteils. Und das hat mich getroffen. Ich kann in mir einen Schmerz über die laxe Haltung gegenüber der Rolle „Mutter“beobachten. Und auch eine große Wut. Mit der Geburt eines Kindes lastet ein unglaublicher Druck auf der Frau. Sie wird von einer Minute zur anderen zum CEO der Familie und ist somit zuständig für jegliche  Familienangelegenheit und insbesondere für die problematischen. Die Erfüllung von Bedürfnissen wird zum obersten Gebot und Mißlingen in Qualität und Quantität als Charakterschwäche oder mangelnde Befähigung abgewertet. Die Erwartungshaltung der Menschen um unsherum  ist immens groß und die meisten Frauen verinnerlichen sie, ohne groß darüber nachzudenken, ob das nötig oder gar hilfreich ist.

Welchen Wert hat die Elternschaft in unserer Gesellschaft ?

Mir fehlt eine echte Wertschätzung der Leistung, die Mütter erbringen und zwar in den meisten Fällen 24/7. Gemeckert und beschwert, herumgenörgelt und abgeurteilt – das geht leicht. Alles, was funktioniert und wie geschmiert läuft, wird als so selbstverständlich hingenommen, dass es keiner Rede wert ist. Wenn ich hin und wieder von meiner Erschöpfung erzähle, dann bekomme ich von kinderlosen Frauen oder Männern den Spruch zu hören: Du hast es doch so gewollt!

Ja, ich habe es so gewollt. Ich wollte Kinder bekommen. Ich wollte sie beim Aufwachsen unterstützen und ihnen ganz selbstlos Wurzeln geben und auch Flügel. Ich wollte die beste Mutter sein, die sie haben konnten. Und ich habe alles gegeben und nichts zurück gehalten. Ich brauche auch kein Lob dafür. Empathie wäre schön gewesen, Respekt und Unterstützung für mich, eine Art Rückendeckung oder auch Rückenwind. Ich bin nicht die einzige, die sich so manches mal verloren und auch verlassen gefühlt hat in den Jahren ihrer Mutterschaft. Unsere Art zu leben hat sich außerdem so verändert, ist so komplex geworden, dass es schwerer geworden ist, uns als Mütter gegenseitig zu unterstützen. Letzte Woche hat bei einem schamanische Ritual eine junge Mutter ihrer Wut Ausdruck gegeben. Sie rief in die Runde, dass es ihr so wichtig sei, uns zu sagen, wie toll wir alle sind, wie stark und großartig, kraftvoll und liebevoll, geduldig und lernbereit. Sie hat unser aller Herzen berührt, auch die der Männer, der Väter.

Wir brauchen Mutterschafts-/ Vaterschafts-/ Elternschafts-Abiture, die uns zeigen, auch wir haben es geschafft!

Ich denke, dass es wichtig ist, dass wir hin und wieder anhalten in unserem Hamsterrad, für einen Moment Atem holen und uns selbst in den Fokus holen, in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit und uns die Wertschätzung geben, die wir brauchen, und dann den Blick heben und all die unglaublichen Menschen sehen, die entschieden haben, die oft jahrzehntelange Verantwortung im Job als Mutter und als Vater zu übernehmen, Kindern ins Leben zu helfen und all die tausend kleinen und großen Dinge auf eine unglaublich selbstlose Art und Weise zu erledigen.

Wir können dafür sorgen, dass wir uns nicht auf die Zuschauerplätze deligieren lassen, dass auch wir uns den Abschluss gönnen und uns selbst mit einem herzlichen “ Gut gemacht“ zu entlassen aus unsere Fürsorgeverantwortung. Vielleicht sogar mit einer bunten Feier oder einem zu Herzen gehenden Ritual. Und sollte irgendein missgünstiger Mensch uns zurechtweisen, dass das nicht unser Tag ist, sondern der unseres Kindes, und wir uns doch nicht so wichtig nehmen sollten, dann lassen wir ihn einfach stehen, anstatt uns unsere Freude und Erleichterung stehlen zu lassen. Wir werden niemandem mehr erlauben, unseren Anteil zu schmälern. Um Unbescheidenheit muss sich, meiner Meinung nach, kein Elternteil sorgen machen. Es wird Zeit, all die Errungenschaften in der Kindheit als ein zeitweises Gemeinschaftswerk anzuerkennen. Und in diesem Sinne schicken wir unseren eigenen Eltern gleich mal ein herzliches DANKE!.

Und nun ein „HOCH“ auf uns Eltern, und vor allem auf uns Mütter!

Geboren 1968, mittlerweile im Norden Deutschlands lebend, lernend, lehrend, schreibend, bin ich Lebenskünstlerin, Menschenliebhaberin und leidenschaftliche Gärtnerin...gesegnet mit Kindern, Katzen, Pferd und besonderen Menschen an meiner Seite...